OUTPOST - Die Glosse

 
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Heraus aus der Wurstpelle, die Arbeit wartet!
Den Stundenplan legt der Musikmanager fest: Die "Echo"-Verleihung in Berlin markiert das Verschwinden einer Branche

(gefunden in der F.A.Z. vom 09. März 2002)

09.03.2002 - 18:30h

 
Sind die eigentlich alle echt? Die synthetische Popband "No Angels" sieht aus wie das Original

Bis zu einem gewissen Punkt hatte alles ganz gut funktioniert an diesem Abend; die Moderatorin Frauke Ludowig, die man in eine Art festliche rote Tüllgardine eingenäht hatte, moderierte mit einer butterfahrthaften Professionalität alles in Grund und Boden ("Diese CD kann ich ihnen wärmstens ans Ohr legen")" die Laudatoren spulten ihre Texte so schnell herunter, als müßten sie noch den letzten Zug nach Westen bekommen, und alles lief recht professionell ab: keine Pannen bitte, wenigstens beim "Echo" nicht, denn das letzte Jahr war für die deutsche Musikbranche, vorsichtig gesagt, eine Katastrophe. Um zehn bis fünfzehn Prozent ist der Umsatz zurückgegangen, und 2001 war das schlechteste Jahr seit zwanzig Jahren. Davon wollte bei der Verleihung der "Echos" niemand etwas hören, weshalb Gerd Gebhardt, der Präsident der Deutschen Phono-Akademie, nicht über die Probleme der Branche sprach und stattdessen aufmunternde Sachen sagte wie: "Wir haben supergute Künstler, die werden den Saal rocken."

Das klappte dann nicht immer so gut. Alanis Morissette begann zu singen, aber man hörte sie nicht, und weil in der Fernsehausstrahlung, die etwas zeitversetzt stattfand, alles perfekt aussehen sollte, mußte sie ihr Lied nochmal singen. Aber auch beim zweiten Mal brach der Ton zusammen. Jemand sagte, es handele sich bei den mysteriösen Pannen um Sabotage, um eine Verschwörung frauenfeindlicher deutscher Musikjournalisten, die auch hinter der Webseite "www.stop- anastacia.de" steckten, aber das ist wahrscheinlich Unsinn.

Alanis Morissette stand jedenfalls wieder ohne Ton da und hörte ein zweites Mal auf zu singen; der goldblitzende Schriftzug "Echo 2002" drehte sich stumm auf den Leinwänden, Frau Ludowig stand schweigend in ihrem roten Zauberkleid neben Alanis Morissette und sah jetzt aus wie eine sehr ratlose Tüllgardine. Was tun? Frau Ludowig moderierte kaltblütig weiter, ohne sich bei Alanis Morissette zu entschuldigen. Die Show muß ja weitergehen, sind wir im Plan, kann man das noch schneiden jetzt, bitte, bis die Ausstrahlung beginnt, und die da muß jetzt halt noch mal singen. Und Alanis Morissette fügte sich sehr professionell und sang zum dritten Mal "Hands Clean".

Es gab fünfundzwanzig "Echos" zu verleihen, mit kaum noch unterscheidbaren Kategorien: Es gibt einen "Berliner Nachwuchspreis" und einen "Nachwuchspreis der Deutschen Phono-Akademie"; beide Preise gingen an die Berliner Gruppe "Seeed", deren Sänger lauthals über die Unprofessionalität der Veranstaltung und die Behandlung von Alanis Morissette schimpfte. Hinten im Saal haute einer, der offenbar zu den Veranstaltern gehörte, mit der Faust auf seinen Klapptisch und sagte, daß man das jetzt alles rausschneiden müsse, und o Gott! - griff hektisch zu seinem Mobiltelefon.

Große Überraschungen gab es nicht, aber die sind beim "Echo" eigentlich auch nicht zu erwarten. Die Preise hängen vom kommerziellen Erfolg der Künstler ab, und so gesehen ist die ganze Veranstaltung eine Art Betriebsfest, bei dem alle, die ordentlich Geld in die Kassen der Veranstalter hineingesungen haben, zu Mitarbeitern des Monats gekürt werden.

Es wurden dann noch unglaublich viele "Echos" verteilt, Lothar Späth überreichte Caterina Valente einen für ihr Lebenswerk, Sasha überreichte einen an Dido, dann bekam Sasha selbst einen für das beste Musikvideo, dann durfte Dido singen, dann bekamen die "No Angels" einen von Hape Kerkeling, der ein paar sehr schlechte Witze über Dieter Bohlen machte und über die nicht vorhandene Unterhose der Sängerin Sarah Connor.

So hangelte sich der Abend dahin. Nena übergab Peter Maffay einen "Echo", Heike Makatsch überreichte der Sängerin Enya einen, Sarah Connor bekam zwei "Echos" und schmetterte mit einer solchen Inbrunst "From Sarah With Love", daß die Altstadt von Delmenhorst in tausend Stücke zerfallen wäre. Die Band "Rammstein" bekam in der neuen Kategorie "NU Rock/Alternative" einen "Echo", den der Drummer "Guten Tag, mein Name ist Schneider, der Rest ist im Urlaub" entgegennahm, der die denkwürdigste Dankesrede des Abends hielt, die mit den Worten schloß: "Das Beste, was Gott erschaffen hat, ist ein neuer Tag".

Dann bekam Michelle einen"Echo" und hauchte, '"Ichmöchtemichherzlichbedanken" ins Mikrofon und verwies darauf, daß auch sie mit ihrem Album "kurz vor Platin" stehe und es doof finde, daß sich die Leute über Schlage lustig machen. Insgesamt war bei den Singenden eine Tendenz zum Stehenbleiben festzustellen: Lenny Krawitz stand einfach da und sang, nur die "No Angels" erinnerten bei ihrem Auftritt ein wenig an die Jazz-Dance-Kurse, die an deutschen Schulen der achtziger Jahre angeboten wurden und deren Ziel es war, die Bewegungen von etwa zehn in wurstpellartige, neonfarbene Leggings gezwängten jungen Menschen zum Takt von "Eye of the Tiger" in Einklang zu bringen.

Ebenfalls singen durfte "0-Town". Kein Sender, keine Veranstaltung, kein Kinderherz, das sie nicht mit ihren dünnen Stimmchen zersingen. Wer kauft "0- Town-", und dürfen diese Leute auch wählen? Nein, dürfen sie natürlich nicht, weil sie noch nicht achtzehn sind. Man war richtig froh, als nach dem ratlosen Gehauche ein wütender ehemaliger Kellner aus Kanada mit seiner Gruppe "Nickelback" auftrat und ein Lied sang, das nach einer explodierenden Stahlfabrik klang und besser war, als seine eigenwillige Frisur vermuten ließ. Auch Leute, die sonst nichts von harter amerikanischer Metallmusik halten, trommelten erleichtert auf den kleinen Tischen herum, die nach Flugzeugmanier aus den Lehnen der ICC-Sitze herausklappten.

Dummerweise traten "O-Town" noch mal auf, und was sie diesmal sangen, klang so halbtot wie das tongewordene Verschwinden der Musikbranche selbst, "0-Town" markieren das Ende einer fließbandartigen Bandproduktion, die wie die ,,No Angels", denen in diesem System schon fast der Status eines Originals zukommt - als kommerzielle Produkte auf den Markt losgelassen wurden. Keiner wird sich die Namen der schüchtern herumsummenden "0-Town"-Jungen merken können, und vielleicht rächt sich jetzt die Abschaffung des Rockstars durch die Pop- Akademien der Musikindustrie auch kommerziell. Der Rockstar hatte eine Aura, eine Aufstiegsgeschichte, und immer übte das Gefühl, einem heroischen Außenseiter und seinem Blick auf die Welt zu folgen, eine Faszination auf den Fan aus. Der Star kam von unten, von außen, er war härter und wilder, er lebte vor allem hemmungslosen Genuß aus und war, als Genie des Exzesses, ein Vorbild.

Die synthetischen Popbands, meistens zusammengestellt aus ehrgeizigen Schülern, bemühen sich nicht mal mehr um das lockende, Bild vom unterstellten Leben, von Glamour und Exzeß: Sie üben fleißig, trainieren Tanzbewegungen und Stimmen und erklären wie "0-Town", daß "das Leben kein Genuß - sondern "harte Arbeit sei", mit einem vom Musikmanager festgesetzten Stundenplan, "der kaum noch Raum für Freizeit läßt". So klingt das Ende der Musikindustrie: Wenn Pop so ist, wie in die Schule zu gehen, dann träumen nicht mal mehr die Schüler vom Pop.

NIKLAS MAAK

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